Das Pech des späten Zweiflers

Ein Großteil der Bevölkerung ist Mieter
Zwar sind nach René Descartes Zweifel der Weisheit Anfang, jedoch dann nicht der Weisheit letzter Schluss, wenn diese zu spät kommen.
Ähnliches wird ein Mieter nach der ihm widerfahrenen Prozess-Odyssee gedacht haben. Er hatte einen schriftlichen Mietvertrag abgeschlossen, der keine Angaben zur Größe der Mietwohnung beinhaltete. Im Laufe der Jahre erhielt er vom Vermieter mehrere Mieterhöhungsverlangen, die unter Bezugnahme auf den gültigen Mietspiegel jeweils vorsahen, dass sich die Nettokaltmiete der Wohnung erhöht. Der Berechnung der Mieterhöhung legte der Vermieter eine von ihm angenommene Wohnungsgröße von 113,66 m² zugrunde.
Der Mieter stimmte den Erhöhungsverlangen jeweils schriftlich zu und zahlte die erhöhte Miete.
Als der Mieter dann ein weiteres Mieterhöhungsverlangen erhielt, zweifelte er an der angegebenen Wohnungsgröße von 113,66 m² und wandte ein, dass die Wohnung lediglich 99,75 m² groß sei, was auch zutraf. Er forderte den Vermieter deshalb auf, die erhaltenen Mieten der vorangegangenen Jahre zurückzuzahlen, soweit sie für eine Wohnungsgröße von über 99,75 m² gezahlt wurden.
Es kam, wie es kommen musste, der Vermieter lehnte ab und der Mieter zog vor das zuständige Amtsgericht Dresden. Dieses wies die Klage ab, sodass über die Berufung des Mieters das Landgericht Dresden entscheiden musste. Das Landgericht hob das amtsgerichtliche Urteil auf und gab der Klage des Mieters überwiegend statt.
An dieser Stelle wäre eigentlich Schluss gewesen, denn die Prozessordnung sieht im Falle einer landgerichtlichen Berufungsentscheidung grundsätzlich kein weiteres Rechtsmittel vor. Eine Ausnahme gilt jedoch nach § 543 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO unter anderem dann, wenn das Berufungsgericht die Revision gegen seine Entscheidung im Urteil zugelassen hat.
Das Landgericht Dresden ließ die Revision gegen sein Urteil zu. Der Vermieter nutzte die Gelegenheit und legte das zugelassene Rechtsmittel beim Bundesgerichtshof (BGH) ein.
Der BGH stellte im Ergebnis das amtsgerichtliche Urteil wieder her, d. h. es blieb für den Mieter bei der vom Amtsgericht Dresden ausgesprochenen Klageabweisung (BGH Urt. v. 11.12.2019 – VIII ZR 234/18). Der Mieter ging somit leer aus.
Zur Begründung führte der BGH aus, dass ein Rückzahlungsanspruch des Mieters gegen den Vermieter nicht besteht, weil die vom Mieter geleisteten Mietzahlungen ihren Rechtsgrund in den zwischen den Parteien individuell getroffenen Vereinbarungen über die Mieterhöhung haben, die den Mieter zu den Zahlungen veranlassten. Aufgrund dieser Vereinbarung kommt es auch nicht darauf an, ob die gesetzlichen Voraussetzungen eines Mieterhöhungsverlangens nach §§ 558, 558a BGB vorlagen.
Auch eine Vertragsanpassung wegen eines beiderseitigen Irrtums der Parteien über die Wohnungsgröße unter der Annahme des Vorliegens einer Störung der Geschäftsgrundlage kam für den BGH nicht in Betracht. Dem Mieter ist ein unverändertes Festhalten an den vereinbarten Mieterhöhungen zuzumuten.
Zwar kann nach der Rechtsprechung des BGH ein beiderseitiger Motivirrtum, insbesondere ein Kalkulationsirrtum, unter den Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 und 2 BGB zu einer Vertragsanpassung führen. Jedoch sah der BGH im Falle des klagenden Mieters die Voraussetzungen dafür nicht gegeben.
Nach der Auffassung des BGH stand dem Vermieter bei Berücksichtigung der geringeren Wohnfläche und der nach dem Mietspiegel ortsüblichen Vergleichsmiete ein Anspruch auf Zustimmung zur verlangten Mieterhöhung zu.
Zu diesem Ergebnis konnte der BGH nur gelangen, weil dem Vermieter in den ursprünglichen Mieterhöhungsverlangen ein weiterer Fehler (neben der falschen Wohnungsgröße) unterlaufen war. Er hatte einen geringeren Quadratmeterpreis in seine Berechnung eingestellt, als er nach dem Mietspiegel hätte verlangen können. Beide Fehler zusammengenommen bewirkten, dass sich für die Wohnung des Mieters eine Miete errechnete, die dem ursprünglichen Mieterhöhungsverlangen des Vermieters entsprach.
eingetragen am: 29.05.2022