Stornieren oder nicht Stornieren, das ist hier die Frage

Reiserecht
Seit mehr als einem Jahr dauert die SARS-CoV- 2 Pandemie an, verbunden mit zahlreichen reiserechtlichen Problemen.
Die nach wie vor wichtigste Frage, die sich stellt, ist die zum möglichen Reiserücktritt und die sich hieraus ergebenden Folgen.
Inzwischen haben sich zahlreiche Gerichte mit den Auswirkungen der Pandemie auf gebuchte Pauschalreisen beschäftigt, jedoch gibt es bislang noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen. Die nachfolgenden Ausführungen können daher nur die bislang ergangenen, vorwiegend amtsgerichtlichen, Entscheidungen berücksichtigen.
Sagt der Reiseveranstalter die Reiseleistung aufgrund der SARS-CoV- 2 Pandemie ab, dann ist dem Reisenden der vereinbarte Reisepreis zu erstatten. Der Reiseveranstalter hat weder einen Anspruch auf Umbuchung noch auf Gutscheingewährung anstelle der Rückzahlung des Reisepreises an den Reisenden.
Allerdings können sich Reisender und Reiseveranstalter darauf einigen, dass statt der Rückerstattung des Reisepreises ein Gutschein gewährt wird. Der Reisende hat die freie Wahl. Kommt eine entsprechende Vereinbarung zustande, dann dürfen dem Reisenden durch die Gutscheingewährung keine zusätzlichen Kosten in Rechnung gestellt werden. Löst der Reisende den Gutschein nicht innerhalb der vereinbarten Gültigkeit (Höchstgültigkeitsdauer 31.12.2021) ein, dann ist der Reisepreis unverzüglich, spätestens innerhalb von 14 Tagen zu erstatten (geregelt im Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Pauschalreisevertragsrecht).
Auch der Reisende kann die Reise vor Reisebeginn jederzeit absagen (nach dem Gesetz von der Reise zurücktreten), wodurch der Reiseveranstalter den Anspruch auf den Reisepreis verliert, § 651h Abs. 1 BGB.
Allerdings kann der Reiseveranstalter in diesem Fall eine angemessene Entschädigung verlangen (Art. 651h Abs.1 S. 3 BGB). Die Geschäftsbedingungen der Reiseveranstalter beinhalten hierfür sogenannte Stornogebühren.
Eine Ausnahme von der Entschädigungspflicht sieht das Gesetz jedoch in § 615 h Abs. 3 BGB vor.
Die SARS-CoV-2 Pandemie stellt ein solches Ereignis dar, dass zum Wegfall der Entschädigungspflicht führt.
Tritt der Reisende wegen der SARS-CoV-2 Pandemie am Urlaubsort von der Reise vor Reisebeginn zurück, dann hat er keine Entschädigung zu zahlen und kann die unverzügliche (spätestens 14 Tage) Rückzahlung des vereinbarten Reisepreises verlangen, § 651h Abs. 6 BGB.
Allerdings stellt sich für den Reisenden hier das Prognoseproblem. Wie lange muss der Reisende mit dem Rücktritt vor Reisebeginn zuwarten und auf welcher Grundlage trifft er die Prognose, ob am Urlaubsort oder in der näheren Umgebung die SARS-CoV-2 Pandemie die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen wird ?
Wie lange der Reisende vor einem Rücktritt zuwarten muss, wird von den Amtsgerichten derzeit unterschiedlich beurteilt.
Nach einer Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf vom 12.02.2021 (Az. 37 C 420/20) war der Reisende berechtigt ca. 5 Wochen vor Reisebeginn pandemiebedingt zurückzutreten, weil zum Zeitpunkt des Rücktritts abzusehen war, dass die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigt sein wird.
In einer Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf vom 08.02.2021 (Az. 37 C 471/20) war der Reisende berechtigt ca. sechs Wochen vor Reisebeginn pandemiebedingt zurückzutreten. Das Amtsgericht führt in der Urteilsbegründung aus, dass es keine feste Prognosefrist gibt. Es kommt lediglich darauf an, dass zum Prognosetag mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Beeinträchtigung für den Zeitpunkt des Reiseeintritts angenommen werden kann.
In einer weiteren Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf vom 25.01.2021 (Az. 54 C 483/20) erfolgte ein ca. fünf Wochen vor Reisebeginn pandemiebedingt ausgeübter Rücktritt zu früh mit der Folge, dass der Reiseveranstalter eine Entschädigung vom Reisenden verlangen konnte.
Unter Berücksichtigung der bislang ergangenen Entscheidungen sollte der Reisende nach unserer Einschätzung 3-4 Wochen vor Reiseantritt abwarten, bevor er auf der Grundlage einer Prognoseentscheidung zur Pandemielage am Urlaubsort vom Reisevertrag zurücktritt.
Damit sind wir gleich am nächsten Problempunkt angelangt, auf welcher Grundlage die Prognose getroffen werden kann.
Nach den vorstehend zitierten Entscheidungen des Amtsgerichts Düsseldorf ist eine erhebliche Beeinträchtigung am Reiseort gegeben, wenn eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes besteht, aber auch dann, wenn das Robert-Koch-Institut den Reiseort als Risikogebiet eingestuft hat.
Zusammenfassend sollte man ca. 3-4 Wochen vor Reisebeginn schauen, ob es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes oder eine Einstufung des Reiseortes als Risikogebiet bezüglich der SARS-CoV-2 Pandemie gibt und ob es wahrscheinlich ist, dass diese Einstufung auch noch zum Zeitpunkt des Reiseantritts gelten wird. Eine Wahrscheinlichkeit von 25% ist dabei ausreichend (BGH vom 15.10.2002, Az.: X ZR 147/01).
eingetragen am: 29.05.2022